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Clémence

Wiederverwendung aus Überzeugung: Interview mit Philippe Berchier, Techniker des Musée Gruérien

Als ich zum ersten Mal mit Philippe Berchier in Kontakt trat und ihn um ein Interview über die Wiederverwendung von Materialien für mehr Nachhaltigkeit in Ausstellungen bat, schien er zunächst überrascht zu sein. "Nachhaltigkeit? Aber damit befasse ich mich hier nicht, ich glaube nicht, dass Sie die richtige Person dafür haben". Ich hatte aber einen anderen Eindruck. Eine Ausbildung als Tischler, 23 Jahre als Museumstechniker im Musée gruérien und die persönliche Überzeugung, dass man nichts wegwirft, was man noch gebrauchen kann: die idealen Voraussetzungen, um sich mit einem Lächeln der Herausforderung einer kreativen Wiederverwendung von Materialien zu stellen. "Es ist wie ein Spiel, es ist das Paradies", verrät er mir.


Philippe Berchier inmitten eines Teils seines Lagerbestands an Materialien, die zur Wiederverwendung bereitstehen.
Philippe Berchier inmitten eines Teils seines Lagerbestands an Materialien, die zur Wiederverwendung bereitstehen.

Viele Elemente Ihrer Ausstellungen sind aus wiederverwendeten Materialien hergestellt. Können Sie mir mehr über die Motivation hinter dieser nachhaltigen Entscheidung erzählen?


Wir tun dies nicht vorrangig aus Gründen der Nachhaltigkeit; zumindest haben wir es nie so definiert. Die Tatsache, dass wir Materialien wiederverwenden, hat zum einen budgetäre Gründe, zum anderen sind es meine persönlichen Überzeugungen. Wenn man weiß, wie teuer das Material ist, denkt man: "Aber das kann man doch nicht einfach in den Müll werfen!". Ausserdem war ich schon immer ziemlich zurückhaltend. Meiner Meinung nach wirft man Material, das nicht beschädigt ist, nicht weg. Solange es wiederverwendbar ist, lagert man es und schaut, was man bei den nächsten Malen damit machen kann. 


Hat die Wiederverwendung von Ausstellungsmaterialien einen Einfluss auf den Inhalt der Ausstellung oder ist es eher umgekehrt? 


In der Regel gibt es keinen direkten Einfluss, weil es keinen vorherigen Austausch mit den Personen gibt, die für die Gestaltung der Ausstellung verantwortlich sind. Ich erhalte den Gesamtplan der Ausstellung und versuche, ihn mit dem, was wir auf Lager haben, umzusetzen. Es kommt auch vor, dass einige Szenograf:innen uns bitten, den Bestand zu sehen, bevor sie ihre Ausstellung planen, aber das ist keine Pflicht. Der einzige wirkliche Faktor, der das Design begrenzt, sind die Kosten. Manchmal sind die Ideen wirklich anspruchsvoll und kompliziert, was hohe Kosten mit sich bringen würde. Es ist also eher die finanzielle Seite, die dazu führen könnte, dass man nicht so weit kommt, wie die Szenograf:innen es gerne hätten. 

 

Wenn Sie von Preis sprechen, meinen Sie den Preis für das Material oder ist das  auch mit mehr Arbeitskraft verbunden? 


Hauptsächlich Material, da ich nicht glaube, dass die Wiederverwendung viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Vielleicht ein paar Stunden, um das Material, das wir haben, zu sehen, die Masse zu nehmen und mit dem Bestand zu vergleichen. Aber ich glaube nicht, dass das einen grossen  Unterschied bei der Gesamtsumme einer Ausstellung macht. 

 

Was sind die wichtigsten Schritte, um ein Projekt mit wiederverwendeten Materialien zu realisieren? 


Nachdem ich den Gesamtplan für die Ausstellung erhalten habe, versuche ich, ihn mit dem, was wir auf Lager haben, umzusetzen. Ich lagere also alles ein. Wir haben zwar keinen grossen  Raum, aber es funktioniert. Wenn ich dann eine Ausstellung machen muss, muss ich nur das  vorhandene  Material nehmen, neu zuschneiden oder übermalen. Wir haben Tafeln mit 15 Farbschichten!  


Um diesen Prozess zu erleichtern, müssen die Szenograf:innen früh genug vor der Ausstellung einen genauen Plan vorlegen. So habe ich genug Zeit, um zu sehen, was wir auf Lager haben, bevor ich spezielle Dinge bestelle. Wenn ich nicht alles mit dem vorhandenen  Material  umsetzen kann, ergänze ich es mit neuem Material oder hole einige Gegenstände von anderen Orten. Wenn wir jedoch Material kaufen, achten wir darauf, dass wir später alles wiederverwenden können, indem wir z. B. zerlegbare Teile herstellen. 


Anschliessend, wenn eine Ausstellung fertig ist, wird sie abgebaut und je nach Material oder Platz gelagert. Zu diesem Zeitpunkt muss man darauf achten, dass man das Lager gut verwaltet und weiß, wie man bestimmte Materialien auf intelligente Weise loswird. Wenn die Holzstücke wirklich zu kurz werden, kann man sie entsorgen. Es gibt auch das Problem der Konservierung bestimmter Materialien. Früher haben wir zum Beispiel Plexiglas verwendet, das aber leicht zerkratzt. Wir entsorgen sie daher nach und nach und ersetzen sie systematisch durch Glasvitrinen.  



Vorher-Nachher-Beispiel für die Ausstellung Réformes, et Fribourg resta catholique (2023). Die Installation (rechts) wurde mit den im Lager (links) aufbewahrten Holztafeln früherer Ausstellungen realisiert. Foto Francesco Ragusa, Musée gruérien, Bulle.
Vorher-Nachher-Beispiel für die Ausstellung Réformes, et Fribourg resta catholique (2023). Die Installation (rechts) wurde mit den im Lager (links) aufbewahrten Holztafeln früherer Ausstellungen realisiert. Foto Francesco Ragusa, Musée gruérien, Bulle.


Was sind die grössten Herausforderungen bei der Wiederverwendung von Materialien? 


Die Herausforderung besteht darin, den Bestand zu verwalten. Der Lagerplatz ist nicht  unbegrenzt. Nach einer Weile muss man trotzdem akzeptieren, dass bestimmte Holzstücke  abtransportiert werden, sonst wird es unkontrollierbar. Und dieser Schritt ist für mich schwierig. Ich denke immer noch, dass man noch etwas daraus machen könnte. Vielleicht könnte es für  bestimmte Projekte immer noch nützlich sein. 


Wenn man über eine längerfristige Planung nachdenkt, muss man auf die Wahl des Grundmaterials achten. Wir hatten z. B. eine Ausstellung mit Karton gestaltet, aber das ist ein  Material, das sehr schnell verdirbt. In diesem Fall konnten wir nicht auf die Wahl von Karton  verzichten, da es sich um eine Wanderausstellung handelte, die leicht zu transportieren sein sollte. Aber wenn man wiederverwenden will, lohnt es sich, das Material, das man zu kaufen  beschliesst, gut zu überdenken. 


Was die eigentliche Umsetzung betrifft, gibt es, abgesehen von Termin- oder Budgetgründen, keine Grenzen für Szenograf:innen, und es ist eine Herausforderung für mich, die gewünschte  Ausstellung zu realisieren. Es ist eine persönliche, positive Herausforderung, die Wünsche der Designer mit dem, was wir bereits haben, zu verwirklichen. 

 

In mehreren früheren Diskussionen über die Wiederverwendung von Materialien wurde erwähnt, wie wichtig es ist, kreative und begabte Museumstechniker:innen zu haben, die dies umsetzen können. Können Sie das bestätigen? 


Es stimmt, dass es hilft, vor allem, wenn man vielfältige Erfahrungen hat. Ich bin gelernter Schreiner und habe dann in einer Firma gearbeitet, wo wir mit einem Maurer und einem Tischler ein bisschen von allem gemacht haben. Auf der Baustelle habe ich gelernt, zu improvisieren und mich vor Ort zurechtzufinden, weil es keine fertigen Lösungen gibt. Damals war es mit unserem kleinen Team oft eine Herausforderung, die Arbeit zu schaffen. Hier ist es das Paradies, weil es eine ständige Herausforderung ist, jeden Tag! Man muss immer Lösungen in allen Bereichen finden. Es ist wie ein Spiel, das mir Spass macht und mich begeistert. 

 

Gibt es noch weitere Elemente, die Sie für diesen Wiederverwendungsprozess für notwendig halten? 


Ich denke, es ist eine Chance für das Musée gruérien, dass wir die gesamte Ausstellung selbst  herstellen. Ursprünglich geschah dies aus wirtschaftlichen Gründen. Heute hängt es auch mit dem Willen zur Wiederverwendung zusammen. Wir hätten manchmal eine ausgefeiltere, verfeinerte Szenografie, wenn wir über das Material oder die Maschinen verfügen würden, die eine perfekte Endbearbeitung ermöglichen. Wir könnten Melamin anstelle von MDF verwenden, aber Melamin wäre unmöglich wiederzuverwenden. Wenn wir mit MDF arbeiten, können wir es leicht überstreichen und an die Farben der neuen Ausstellungen anpassen.  


Ausserdem wäre es schwierig, wenn nicht sogar falsch verstanden, ein Privatunternehmen zu bitten, das Material einer früheren Ausstellung, das von einem anderen Unternehmen  produziert wurde, wiederzuverwenden. Das beauftragte Unternehmen würde uns wahrscheinlich nicht die Qualität des verarbeiteten Produkts garantieren wollen, wenn es sein Material nicht selbst auswählen kann. Während wir bei einer intern erstellten Ausstellung, wenn wir ein Problem mit wiederverwendbarem Material haben, die Situation intern regeln.  

 

Was würden Sie anderen Museen empfehlen, die das Material wiederverwenden möchten? 


Wenn Sie die Elemente einer Ausstellung intern entwickeln, ist es einfacher, sie  wiederzuverwenden. Ein weiterer Tipp wäre, über Lagerraum zu verfügen. Es ist nicht unbedingt notwendig, ein  grosses Lager zu haben. Es kommt auch darauf an, welchen Ausstellungsstil das Museum umsetzt und welche Gegenstände gelagert werden müssen.  


Wir können auch über die Wiederverwendung in Bezug auf digitales Material sprechen. Wir  lagern die Bildschirme, haben uns aber dafür entschieden, alles andere (Ton- und  Bildgeräte  usw.) für die Dauer der Ausstellungen zu mieten. Das garantiert uns, dass wir immer die neuesten Geräte haben und uns nicht um Geräte sorgen müssen, die alt werden, schnell  veralten  und unnötig gelagert werden.  


Gibt es etwas, das Sie nicht noch einmal tun würden? 


Nein, ich glaube nicht, dass wir eine Ausstellung hatten, bei der ich Dinge wegwerfen musste, weil ich dachte, dass wir die Materialien nie wiederverwenden könnten. Ich konnte immer  Material aus jeder Ausstellung wiederverwenden.  

 

Abschliessend möchte ich über die Kommunikation bezüglich der Wieder-verwendung  von Materialien sprechen. Wird dies intern und/oder öffentlich  kommuniziert? 


Nein, wir kommunizieren diesen Aspekt nicht als nachhaltiges Vorgehen, weder intern noch  gegenüber der Öffentlichkeit. Intern ist bekannt, dass wir Materialien so weit wie  möglich  wiederverwenden. Vor Ihrem Anruf hatte ich jedoch nicht bedacht, dass unsere Art der Materialnutzung eine Möglichkeit ist, das Konzept der "Nachhaltigkeit" in die Praxis umzusetzen. Wenn ich darüber nachdenke, denke ich, dass wir in diesem Bereich letztlich ziemlich weit  fortgeschritten sind . 


Vielen Dank, Herr Berchier, dass Sie uns einen konkreten Einblick in die Möglichkeiten und  Herausforderungen der Wiederverwendung von Materialien im Alltag des Musée gruérien gegeben haben!  


Dieses Interview entstand im Rahmen des von der Stiftung Mercator geförderten Projekts «Upcycling Global Happiness»

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